26. November 2024

Nintendo: Von der Mafia bis zum Game Boy

Autor: Magnus Folten

Ob Konsolen wie den Game Boy, Nintendo DS, NES die Wii oder Switch oder Spiele wie Super Mario, Donkey Kong, The Legend of Zelda und Pokémon: Nintendo ist eine Gaming-Institution. Seit seiner Gründung hat das japanische Unternehmen mehr als 850 Millionen Spielkonsolen verkauft, für die zusammengenommen fast 6 Milliarden Spiele neue Besitzer fanden. Und doch steht Nintendo vor den vielleicht größten Herausforderungen seiner Neuzeit: Die PlayStation wurde zur erfolgreichsten Konsole aller Zeiten. Doch noch viel gefährlicher ist die Frage: Braucht es überhaupt noch Spielekonsolen, wenn jedermann mit dem Smartphone einen leistungsfähigen Computer in der Hosentasche hat?

Yakuza und Disney

Werfen wir erstmal einen Blick zurück in die illustre Geschichte des Unternehmens - und dieser birgt für einige womöglich eine Überraschung. Lange vor den Konsolen und Spielen, mit denen später die Welt erobert wurde, startete Nintendo als Kartenspiel in Kyoto, wo es noch heute seinen Sitz hat. Und die Anfänge sind ein wenig dubios. Kartenspiele kamen ursprünglich im 16. Jahrhundert aus dem Westen nach Japan, wurden aber dann für mehrere hundert Jahre verboten, als die Herrscher eine strikte Isolation verfolgten und quasi jeglichen westlichen Einfluss aus dem Land verbannten. Erst Ende der 1880er Jahre hatte die Regierung das offizielle Verbot von Spielkarten endlich aufgehoben. Jetzt konnte man diese Dinge endlich legal produzieren. 1889 gründete ein Mann namens Fusajiro Yamauchi Nintendo.

Nintendo wird in dieser neuen Branche zum größten Spielkartenhersteller in Japan. Ihre Kunden sind jedoch weniger Haushalte, sondern v.a. Glücksspielindustrie – und konkret die Yakuza, die japanische Mafia. Denn die Karten wurden fürs illegale Gambling benutzt. Und die Kunden wollten neue Decks pro Spielabend – um sicher zu sein, dass nicht geschummelt wird. Doch die Dinge gestalten sich schwierig. In zwei Generationen wird kein Sohn als möglicher Nachfolger des alternden Yamauchi geboren, in den 40ern tritt Japan bekanntlich in den Weltkrieg ein. 1949 jedoch übernahm ein gewisser Hiroshi Yamauchi den Konzern, der Urenkel des Gründers - und feuerte beinahe das gesamte Team, um Nintendo in den Folgejahren von einem Kartenhersteller zu einer Toy Company zu verwandeln. Einer der besten Partner den ersten Jahren war übrigens Disney. Eine familienfreundliche Marke, die den Markenschutz über alles stellt, kooperiert also mit einem Kartenhersteller, der vor wenigen Jahrzehnten noch DAS Kartenspiel für die Yakuza herstellte. Hä? Doch der Grund war einfach: Disney wollte über Spielkarten in Japan Fuß fassen. Nintendo lizenziert Walt Disney-Figuren und bringt sie auf Spielkarten, die sie dann an Kinder in Japan verkaufen. Die Disney branded Nintendo Karten haben heute übrigens Sammlerwert.

Nintendo wird zur Toy Company

Wir sind von 1949, als Yamauchi das Unternehmen übernahm, bis 1959, als Disney ins Spiel kam, nun im Jahr 1970. Ein Nintendo-Mitarbeiter erfindet eine teleskopische, künstliche Hand – eigentlich als Scherz. CEO Yamauchi schaut sich das an und sagt: „Das sieht nach einem Erfolg aus.“ Also vermarkten sie es als die Ultra Hand. Und so werden aus einem Büroscherz 1,2 Millionen verkaufte Exemplare dieses Spielzeugs. Doch die größte Wandlung von Nintendo geschah in den 70ern und resultierte aus den Erfolgen und Erfindungen anderer Companies wie Atari und Sega. Arcade-Games (die meisten mit Spacebezug) wurden Mainstream, vor allem dank: Pong. Denn Tischtennis verstand jeder sofort, es machte Spaß und man spielte gegen einen Freund, nicht gegen einen mysteriösen Computer, von einem US-Amerikaner namens Nolan Bushnell entwickelte, der heute als Erfinder des elektronischen Spielens gilt. Die Macher begannen, Automaten zu produzieren und an Bars und Spielhallen im ganzen Land zu verkaufen.

Was heute kaum jemand weiß: Ende der 70er war die Spieleindustrie größer als Hollywood – etwa 5 Milliarden Dollar. Nur funktionierte sie anders, denn es gab noch keine Spielekonsolen, sondern nur Arcade-Spiele. An dieser Stelle kommt ein weiterer berühmter US-Amerikaner ins Spiel: Ein damals junger Typ namens Steve Jobs, der zusammen mit seinem Kumpel Steve Wozniak eine Einzelspieler-Version von Pong entwirft: Breakout. Und so sollten in den Folgejahren plötzlich nicht nur eine, sondern drei Industrien entstehen. Die Arcade-Videospiele mit Atari & Pong, die Heimvideospielkonsole, in die Atari jetzt einsteigen sollte. Und daraus abgeleitet später die Personal-Computer-Branche, die Jobs und Wozniak mit Apple ins Leben rufen werden. All das startet aus diesem einen Moment – unglaublich. Und Nintendo? War bis Ende der 60er, Anfang der 70er noch ein Spielzeugunternehmen - doch Hiroshi Yamauchi erkannte den Trend sehr schnell und begann bereits ab 1973 mit der Entwicklung eigener Arcade Games. Nintendo wird zum ersten Hersteller, der Geschichten erzählt – eingebettet in die perfekte Spielmechanik: Einfach zu lernen, aber hart zu meistern. Das 1982 eingeführte Donkey Kong war das erste Jump n Run Spiel überhaupt – und ein Kassenschlager. Es machte 180 Mio Dollar Umsatz und damit mehr als jeder Film im Jahr 1982 mit Ausnahme von E.T. 

Und hier kommt Mooresches Gesetz ins Spiel, sprich: die exponentielle Entwicklung der Computerindustrie. Dinge, die früher einen ganzen Automaten erforderten, konnten schon bald in eine kleine Box gepackt werden, die an den Fernseher angeschlossen wird und für Verbraucher erschwinglich ist. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis diese Entwicklung in Heimspielkonsolen mündete. Nintendo wartete diese von Japan aus aber eher passiv ab ab – und was dann folgt, ist eine Mischung aus gutem Timing und Geduld. 

Von Arcade zu Konsolen

Nintendo sieht den amerikanischen Markt für Heimkonsolen wachsen und explodieren – und weil es dort noch keine direkte Konkurrenz gab, muss Nintendo noch nicht mitmischen und kann sich Zeit lassen – und seinen eigenen Weg finden. Und dann passierte etwas, das Nintendo in die Karten spielen sollten: Der gesamte US-Markt für Videogames und Konsolen kollabierte in den Folgejahren, weil zu viele Wettbewerber in den Markt drängten. Nintendo konnte diese Krise beobachten, aus ihr lernen und gleichzeitig von Mooreschem Gesetz profitieren – und präsentierte einige Jahre später etwas, das exponentiell besser war. Das Wachstum und der Crash des US-Marktes gingen komplett vorbei am japanischen – und Nintendo konnte in Ruhe den gesamten japanischen Markt erobern. 1983 launchen sie in Japan Famicom, und daraus basierende NES wird in den USA erst 1985 auf den Markt kommen. Und damit sind wir schon mittendrin in den 80ern, den goldenen Jahren von Nintendo. In den nächsten Jahren wird sich das Famicom fast 20 Millionen Mal in Japan verkaufen. In den 80er Jahren gab es in Japan nur 38 Millionen Haushalte. Sie erreichen eine Marktdurchdringung von fast 50 % in Japan.

Nintendo war also nun ready für die Expansion - denn allein in den USA warteten 90 Mio Haushalte. Der größte Konkurrent war Atari, doch die hatten unter der Krise zu leiden. Und Nintendo hat das Produkt anders beworben: Positionierung als Spielekonsole, kein Videospiel, keine Elektronik. In den Jahren 1986 bis 1989 dominiert Nintendo komplett und beinahe konkurrenzlos - doch die Zeiten änderten sich. Die folgenden 30 Jahren waren geprägt von großer Konkurrenz. Den Anfang machte im Jahr 1989 Sega mit dem Launch seiner Genesis und aggressiver Werbung gegen die Konkurrenz. 

Doch das Imperium schlug zurück: Im gleichen Jahr veröffentlichte Nintendo den Gameboy und disruptierte damit den Markt - aus der Konsole wurde ein Device für die Hände. 1990 legten sie einen drauf mit dem Super Nintendo, ehe 1994 Sony den Markt betritt und die PlayStation 1 ins Spiel brachte. 6 Jahre später gab's den Nachfolger, und die PS2 wurde mit 12 Jahren zur längst dienenden Konsole jemals auf dem Markt und gleichzeitig zur erfolgreichsten: 150 Mio verkaufte Geräte!

Nintendo trotz den Widrigkeiten

Als der Game Cube 2001 nicht zündete, musste Nintendo einsehen: Die Ps2 war technisch besser. Ihre Lektion: “Wir wollen Dinge anders machen und lieber im blue ocean schwimmen statt im red ocean.” Der Beweis dafür: die Wii - grafisch unterlegen, aber mit viel Spielspaß. In einer Branche, in der sich viele andere Videospiele auf realistische Erlebnisse, beindruckende Grafik, hohe Frame Rates und technische Spezifikationen konzentrieren, sagte Nintendo: "Uns ist all das egal. Uns geht es um den Spaß." Firmenlegende Yamauchi hörte nach über 50 Jahren auf, aber die Firma blieb innovativ und mutig und geht ihren eigenen Weg- Während PlayStation auch Drittanbieter zulässt, können Nintendo Games weiterhin nur auf Nintendo-Konsolen gespielt werden. Ist das gut oder schlecht? Könnten sie erfolgreicher sein, wenn man ihre Spiele (und IPs) überall nutzen könnte? Würden 100 Mio Menschen weltweit $5 monatlich zahlen, um ihr riesiges Archiv an Spielen überall spielen zu können? Oder würde ihnen das passieren, was Sega passierte, als es die Hardware aufgab?

So oder so ist Nintendo gut aufgestellt. Brand und IPs sind stark, dazu hat der Konzern 8 Milliarden Doller auf der hohen Bank. Neue Geschäftsmodelle wie Lego, Filme oder ein Theme Park spülen zusätzlich Geld in die Kassen. Das sind gute Aussichten in einer Welt, die sich gerade drastisch verändert durch Virtual Reality & Künstliche Intelligenz. Interessant jedoch: Der 9:16-Hype lässt Nintendo ungerührt: Kein zentraler TikTok-Account, lediglich ein amerikanischer und ein deutscher Insta-Kanal. Keine Werbung für die eigenen Produkte, kein Community Management - auch hier geht Nintendo seinen eigenen Weg. 

Das gesamte Video zu Nintendo findet ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=8cy4QDPQBgg&t=20s

 

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