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Datenschutzskandale, Donald Trump und wütende Eltern: Das Netzwerk TikTok hat schon einiges an Ärger überstanden. Jetzt entdecken Firmen die App für Marketingzwecke. Das kann sich lohnen – oder im Shitstorm enden. So taucht Antonia mit jedem Finger-Wisch tiefer hinab in die digitale Videowelt von TikTok. Die 18-Jährige ist seit einem Jahr in dem sozialen Netzwerk unterwegs. Dort entdeckt sie täglich neue Videos, die sie spannend findet.
Vor allem junge Menschen aus der Generation Z lassen sich von den maximal 60-sekündigen Mini-Videos berieseln. Antonia ist eine von etwa elf Millionen Usern in Deutschland und sicher nicht die Einzige, die auf TikTok die Zeit vergisst. „Da die Videos so kurz sind, verbringt man doch schnell viel Zeit in der App“, sagt sie. Zeitverschwendung ist es für sie aber nicht: „Alleine durch das Zugucken bekomme ich eigene Ideen, TikTok inspiriert und motiviert mich.“ Das sieht der Diplom-Psychologe Sebastian Buggert vom Marktforschungsinstitut Rheingold ähnlich. „Der Algorithmus von TikTok passt sich perfekt an die Interessen und Vorlieben seiner User an. So sieht man fast nur Videos, die man gut findet. Dieses Phänomen ist sicher mit ein Erfolgsgeheimnis der App.“, so Buggert.
2016 startete TikTok, damals noch unter dem Namen musical.ly. Es gehört zum Unternehmen ByteDance. Mitte 2018 erfolgte dann die Umbenennung in den heute berühmten Namen, der ins Deutsche übersetzt übrigens Tick Tack bedeutet – angelehnt an den tickenden Zeiger einer Uhr. Seitdem gehört die App zu den am schnellsten wachsenden sozialen Netzwerken überhaupt. Im Juli 2020 hatte die App laut Bloomberg knapp 700 Millionen User weltweit. Natürlich sind Giganten wie Facebook mit über zwei Milliarden Nutzern weltweit unangefochtener Spitzenreiter.
Aber die Wachstumskurve kennt bei TikTok trotz Diskussionen um Datenschutz und Streitereien mit noch US-Präsidenten Trump momentan nur eine Richtung: nach oben. Die Bandbreite der Themen ist riesig. Was für Antonia die Modetipps, sind für andere Sportvideos, Urlaubsbilder oder Nachrichten-Clips. Millionen TikToker sorgen täglich für neuen Video-Nachschub und ziehen User an. Denn TikTok macht eines anderes als die digitale Konkurrenz von Instagram und Facebook: „Im Unterschied zur scheinbaren Glanzwelt von Instagram lebt TikTok vielmehr von der Kreativität seiner User“, sagt Buggert. So gehe es bei TikTok nicht darum gut auszusehen, sondern eigene Ideen zu haben und diese aktiv umzusetzen. Dass TikTok das neue große Ding in der digitalen Welt ist, scheint in der Wirtschaft angekommen zu sein. Immer mehr Unternehmen setzen auf die App und versuchen, durch sie die Generation Z zu erreichen. Zu den Pionieren gehören etwa Chips-Produzent Funny-Frisch und der Audioanlagen-Hersteller Bose. Auch Mercedes-Benz zählt zu den unternehmerischen TikTokern. Seit Mai 2019 ist der Autobauer auf TikTok. Der Account wuchs in dieser Zeit auf beinahe 400.000 Follower. „Unser Ziel ist es, mit TikTok eine Vorreiterrolle einzunehmen und damit die Generation Z, die bislang wenig Affinität zur Marke hatte, in ihrer Welt zu erreichen und neue, zielgruppengerechte Inhalte zu bieten“, heißt dazu aus Stuttgart. Einen ersten Erfolg konnte Mercedes gleich zu Beginn der TikTok-Präsenz feiern. Unter dem Hashtag #MBStarChallenge rief der Konzern seine Community dazu auf, den Mercedes-Benz-Stern auf ihre eigene Weise nachzubilden. Gemeinsam mit der Unterstützung von TikTok-Creatorn – das sind die Influencer auf TikTok –, drehten sie 185 TikToks – so heißen die kurzen Videos. Insgesamt erreichten die TikToks über 860 Millionen Views.
Dass eine Marke wie Mercedes auf TikTok so erfolgreich ist, liegt laut Adil Sbai daran, dass sie neue Kanäle sehr früh ausprobieren und eine First-Mover-Strategie verfolgen. Der 35-Jährige ist CEO von WeCreate, einer Plattform für TikTok-Marketing und Strategie-Beratung. Laut ihm lohnt sich TikTok für Unternehmen als Werbeplattform vor allem unter zwei Bedingungen: „Wenn man die Generation Z als Kundschaft hat oder sich als Unternehmen erlauben kann, für die Zukunft zu planen.“ So kann sich ein 15-jähriger Teenager zwar noch kein Auto kaufen. Durch die Präsenz auf TikTok entsteht aber schon früh eine emotionale Bindung zur Kundschaft von morgen. Das sei auch der Grund, warum viele Fußballvereine auf TikTok aktiv sind. „Ob ich Bayern oder Dortmund Fan bin, entscheidet sich ja meistens bereits in der Kindheit.
Daher ist TikTok für die Clubs wichtig, um Nachwuchsfans für sich zu rekrutieren – bei Automarken ist das ganz ähnlich.“ Die Zahlen geben ihm recht: Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Kantar unter Werbetreibenden gaben 65 Prozent an, dass sie ihre Werbeausgaben für Magazine drosselten, für das Fernsehen gaben dies 20 Prozent an. Über 30 Prozent der Befragten erhöhten ihre Werbeausgaben hingegen für Online-Videos. Natürlich hängt das eng mit der Coronakrise zusammen. Kantar geht aber davon aus, dass sich dieser Trend auch 2021 weiter fortsetzt und die Budgets für Online-Werbung noch steigen. So gaben 70 Prozent der europäischen Marketingexperten in der Umfrage an, ihre Ausgaben auf Tiktok erhöhen zu wollen.